Kunst braucht Aufmerksamkeit
Kunst ist immer da. Sie ist wie Luft. Eigentlich nehmen wir sie auch kaum noch wahr. Dabei umhüllt sie uns wie ein unsichtbarer Mantel.
Kunst ist ein Motor. Wie ein Wissenschaftler forscht der Künstler an dem, was die Gesellschaft noch nicht zu sehen vermag. Deshalb verändert Kunst auch Sehgewohnheiten. Was wir heute schön finden, war zur Zeit seiner Entstehung fremd, komisch, hässlich und wurde deshalb häufig abgelehnt und/oder schlichtweg nicht verstanden. Ist Kunst erst mal Geschichte, der Künstler tot, bekommt sie oft die Aufmerksamkeit und den materiellen Wert, der ihr in der Zeit ihrer Entstehung verwehrt wurde.
Van Gogh hat zu Lebzeiten nur wenige Bilder verkauft, James Joyce war als Pornolitereat verschrien und das Bauhaus als entartete Kunst verboten. 100 Jahre später bringen Van Goghs Bilder zweistellige Millionenbeträge, Joyces Werke sind Weltliteratur, und Ikea macht mit Design „à la Bauhaus“ ziemlich gute Umsätze.
Aber wenn man erst mal tot ist, dann … Dies wird häufig als Argument benutzt, als Trostpflaster für die Künstler/innen von heute. Für ihr Darben an weltlichen Dingen, ein Schaffen jenseits jeglichen Mindestlohns. Für zwei, drei Jobs, die sie zusätzlich brauchen, um es sich leisten zu können, Kunst zu kreieren.
Immerhin kann sie/er sich selbst verwirklichen, das kann schließlich nicht jeder! Aber von der Wertsteigerung der Kunstwerke hat später in den seltensten Fällen der Künstler etwas. Meist sind das Händler, Spekulanten, etc. die Kunst als Anlageobjekt sehen.
Was Van Gogh, Joyce, Bauhaus auf der nationalen und internationalen Bühne bewirkt haben, leisten lokale Künstler/innen in der Stadt selbst. Ihre Arbeit, ihr Darben, Kreativität, Innovation, ästhetischen Auseinandersetzungen, all dies prägt den lebendigen Geist und die Kultur einer Stadt.
Kunst braucht Begegnung
Kunst meets Kirche
Am Anfang standen einfache weiße Striche. Sie hätten auch ein Kreuz werden können, aber Mechthild Hart verband die Linien zu einem Quadrat. Dieses strahlte auf dem nassen Kopfsteinpflaster der Fußgängerzone direkt vor dem Augustiner Kloster und wurde zu einem Sinnbild. Plötzlich gingen alle um die imaginäre Grenze herum. Manche stoppten. Andere wollten sich hineinstellen.
Das Viereck war der Anfangspunkt einer Performance, die die Künstlergruppe „Kunstleerer Raum“ (Rainer Haindl, Mechthild Hart, Gabriele Kunkel, Evelin Neukirchen, Sabine Saam und Georgia Templiner) am Samstag zusammen mit Pater Dominik vom Augustiner Kloster inszeniert hat. Die Gruppe möchte vor allen Dingen darauf aufmerksam machen, wie eine Welt ohne Kunst aussehen würde.
Kurze Zeit später stellte sich eine der Künstlerinnen in den Quader, wurde mit einem farbigen Faden umwickelt, gefangen genommen und in das Kloster entführt. Gleichzeitig hallten aus einem Lautsprecher Textfetzen wie Kunst braucht Raum, Kunst ist unverständlich, Kunst bleibt. Wer sich dann ins Innere des Klosters wagte, fand im Kreuzgang den Kunstleeren Raum. An ihm „entwickelten“ sich Künstlerinnen nacheinander. So entstand ein farbiges Geflecht, Sinnbild für die Relevanz von Verknüpfungen und Vernetzungen. Denn Kunst braucht Begegnung, Austausch, Annähern und Nähern.
„Eine tolle Performance“, sagte einer der Besucher. Und ein beeindruckender Kontrast zwischen hektischer Fußgängerzone und der fast meditativen Stille des Kreuzganges. Auch Pater Dominik war sehr zufrieden. Er hatte die Tore für die junge Kunst geöffnet und so mancher Gast war vielleicht zum ersten Mal in diesen heiligen Hallen. Auch ein Zeichen dafür, dass ungewöhnliche Verknüpfungen Zukunft haben.
Kunst braucht Sichtbarkeit
Roter Teppich für die Kunst.
Das leuchtende Rot war schon von weitem sichtbar. Es wirkte wie ein Ausrufezeichen vor dem weißen Kubus. Anlässlich der Zellerauer Kulturtage stellten Rainer Haindl, Mechthild Hart, Gabriele Kunkel, Evelin Neukirchen, Sabine Saam und Georgia Templiner an verschiedenen Orten der Zellerau den Kunstleeren Raum auf. Und rollten vor ihm einen roten Teppich aus.
In der Tat will die Künstlergruppe „Kunstleerer Raum“ mit ihrer neuen Aktion erneut aufmerksam machen. Zum einen darauf, wie eine Welt ohne Kunst aussehen würde. Zum anderen auf das Kunstwochenende am 19. Und 20. Oktober. Mehr als 40 Künstler/innen öffnen anlässlich dieses Wochenendes ihre Türen und gewähren einen Einblick in ihr Schaffen. Ein intimer Blick, der in keinem Museum, keiner Galerie, keiner Ausstellung gewährt wird.
„Der rote Teppich ist zum einen Sinnbild und gleichzeitig Aufforderung an die Würzburger, die offenen Ateliers am Wochenende zahlreich zu besuchen,“ sagte Evelin Neukirchen.
Kunst in Zeiten von Corona
Was mit einem Ausrufezeichen begonnen hatte, erscheint nun fast wie ein Mahnmal.
Die Galerien sind zu. Ausstellung werden abgesagt. Lesungen verschoben. Was bis vor Kurzem noch im Überfluss vorhanden war, hat das Virus lahmgelegt. Und vielleicht wird der ein oder andere erst jetzt – oder schon jetzt – feststellen, wie wichtig, bildend oder einfach nur schön das Kulturangebot unserer Stadt war.
Aber wie eine Welt ohne Kunst aussehen würde, darüber denkt die Künstlergruppe „Achtung! Kunstleerer Raum“ schon seit einer Weile nach und versucht, mit besonderen Aktionen auf die Bedeutung von Kunst in unserer Gesellschaft und unserer Stadt aufmerksam zu machen.
Bereits im Herbst 2018 starteten die sechs Kunstschaffenden (Rainer Haindl, Mechthild Hart, Gabriele Kunkel, Evelin Neukirchen, Sabine Saam und Georgia Templiner) mit einer ersten Aktion auf dem Würzburger Marktplatz. Seitdem sind weitere Aktionen hinzugekommen, und natürlich waren neue geplant, die nun der Virus jäh gestopped hat. Erstmal zumindest.
Aber in der Tat wird nun für viele spürbar, wie ein Leben ohne Kunst aussieht: Ein Leben im Kunstleeren Raum. Ohne die vielen Kunstschaffenden der Region, die als Sänger, Schauspieler, Musiker, Schriftsteller, Maler, Bildhauer (etc.) das lebendige, kulturelle Leben unserer Stadt prägten und die nun im Homeoffice verschwunden sind. Viele von ihnen kämpfen ums Überleben, denn meist arbeiten sie frei und fernab von Mindestlohn oder regelmäßigem Einkommen. Viele zusätzlich auch noch ehrenamtlich.
„Unser Kunstleerer Raum,“ so Mechthild Hart „erscheint mir jetzt, als hätten wir es vorher schon gespürt, erahnt. Unsere Aktionen bekommen in der aktuellen Krise eine neue Bedeutung. Unser Kubus, der sichtbar macht, was Leere bedeutet. Er steht fast als Mahnmal, es nicht zu vergessen, dran zu bleiben.“ Denn in Zeiten wirtschaftlicher Bedrängnis wird meist schnell wieder weit hintenangestellt, was erstmal nicht als dringend relevant erachtet wird.
„Kunst hat die Aufgabe, wachzuhalten, was für uns Menschen so von Bedeutung und notwendig ist,“ sagte Michelangelo.
In Zeiten wie diesen ist genau dieses Wachbleiben eine wichtige Kompetenz, um nach dem Neustart nicht wieder in gewohnte Denkmuster zu verfallen, die dringend auf den Prüfstand gehörten, sondern dem Raum zu geben, was wirklich wichtig ist.
„Es kommt wohl auf jeden einzelnen an, was er für Lehren aus dieser Zeit zieht. Und auf jeden einzelnen, was er daraus macht. Aber Kunst kann dazu beitragen, sichtbar zu machen, was wichtig und n o t- w e n d i g ist,“ so Evelin Neukirchen.
Oder aber auch einfach nur die Seele erwärmen, um nicht zu verzweifeln.
Kunst muss in die Mitte der Gesellschaft
Kunst gehört in die Mitte der Gesellschaft
Der 7.August 2020 war ein heißer Tag und Angela Merkel noch im Urlaub, als die Künstlergruppe „Achtung! Kunstleerer Raum“ nach Berlin reiste, um dort ihren Kubus direkt vor dem Bundestag aufzubauen.
Denn neben der gesellschaftlichen Wahrnehmung braucht Kunst auch Unterstützung aus der Politik. Dazu gehört die Schaffung von Strukturen, in denen die Kunst nicht nur gerade so überleben kann. Auch in der Bundeshauptstadt ist deren Situation nämlich nicht so viel anders als in der restlichen Republik. Er habe jeden Tag ein „Coronabild“ gemalt, so ein Berliner Maler. Aber verkaufen? Verkaufen könne man derzeit nichts. Mit ihrer neuen Performance wollen die sechs Würzburger (Rainer Haindl, Mechthild Hart, Gabriele Kunkel, Evelin Neukirchen, Sabine Saam und Georgia Templiner) aber nicht nur auf die schwierige Situation hinweisen, in der sich die Kunstschaffenden derzeit befinden.
„Wir wollen, dass Kunst besser sichtbar wird!“ Sie nimmt in unserer Gesellschaft immer noch viel zu oft nur eine Randposition ein. Dabei kann sie äußerst positive Impulse für die Entwicklung unserer Gesellschaft geben. „ Sie gehört in die Mitte der Gesellschaft“, so Rainer Haindl.
Erstmal herrschte auf dem Platz der Republik dann aber doch Irritation, als die Würzburger ihren Kubus aufbauten. Was sollte das denn mit Klimaschutz zu tun haben? Oder meinte da irgendwer, die Welt sei ein Kubus?
Aber alle, die sich näher an den Kunstleeren Raum heranwagten, waren begeistert. Fragten, diskutierten, bekundeten schlichtweg Solidarität mit der ungewöhnlichen Performance und wünschten „viel Erfolg für die tolle Aktion“, die sogar für Berlin etwas Neues sei.
Genau um Begegnungen dieser Art geht es den sechs Kunstschaffenden auch. Sie wollen die Schwellenangst aufheben, die so manch einer hat, um in eine Galerie zu gehen. Oder in ein Museum. Die Künstlergruppe möchte mit all denen, die sich für Kunst interessieren, aber auch gerade mit jenen, für die Kunst alles andere als verständlich ist, ins Gespräch kommen. Denn Kunst braucht Begegnung, Austausch, Annähern und Nähern.
Und davon gab es reichlich an diesem heißen Sommertag in der Bundeshauptstadt.
„Künstler sind wohl pflegeleichter. Sie dürfen wiederkommen!“, grinste der Polizist, der die Meinungskundgebung überwachte.
Gerne! Aber dann, um den Kubus im Bundestag aufzubauen
Kunst in der Mitte der Gesellschaft
Kunst nimmt in unserer Gesellschaft eine Randposition ein. Sie gilt als elitär, oder auch schlichtweg nicht verständlich, ist Spekulationsobjekt oder einfach nur „nice to have“. Dabei öffnet Kunst – auch und gerade auf sehr komplexe Themen – neue Perspektiven. Sie öffnet das Denken.
Künstlerisches Denken heißt in hohem Maße zu reflektieren. Kritische Reflexion guckt dahinter, lässt sich nichts vormachen. Kunst macht fit für die Zukunft, fit um Künstlicher Intelligenz & Co zu trotzen.
Kunst gehört in die Mitte der Gesellschaft.
Für eine nachhaltigen Lebenskultur muss Kunst aber in die Mitte der Gesellschaft rücken. Das geht nur, wenn sie auch stärker sichtbar ist. Dazu muss sie (auch) raus aus dem Museum, raus aus der Galerie. Kunst gehört (auch) auf die Straße.
Sichtbar werden: DAS GLASHAUS
Aus diesem Grund fanden alle unsere Aktionen und Perfomances mit dem Kunstleerem Raum in der Stadt selbst statt. Auf dem Marktplatz, in der Fußgängerzone, im Stadtteil. Und deshalb möchten wir auf einem zentral gelegenen Platz, ein Glashaus (3 x 3 m) errichten.
Hier könnten regionale Künstler ausstellen. Hier wäre ein Treffpunkt. Ein Kommunikationsplatz. Hier könnte man im Vorbeigehen sehen. Ohne Schwellenangst. Vor dem Glashaus stünde eine Bank, auf der man sitzen könnte. Sehen. Erkennen. Denn Kunst braucht Begegnung, Austausch, Annähern und Nähern.
Vision: Ein solches Glashaus in Würzburg und weiteren großen bayerischen Städten. Keine zweite (Geld)Bank. Kein drittes Hochhaus. Sondern ein transparenter Ort, ein Schutzraum für´s visuelle Denken.