
Speakers’ Corner: Die Frei-Sprech-Anlage
Die nordöstliche Ecke des Hydeparks in London ist eine britische Institution. Viele Personen der Weltgeschichte haben hier gesprochen: Karl Marx, George Orwell, Wladimir Lenin. Politiker im Wahlkampf testen hier ihre Rhetorik. Noch mehr aber gehört dieser Ort, Speakers’ Corner genannt, schrulligen Außenseitern, Missionaren und Fürsprechern aller möglichen Anliegen, Weltanschauungen und Religionen. Seit einem Parlamentsbeschluss vom 27. Juni 1872, dem Royal Parks and Gardens Regulation Act, darf jeder hier ohne Anmeldung einen Vortrag zu einem beliebigen Thema halten.
Hier konnten zum Tode Verurteilte frei sprechen – in ihren letzten Minuten. Seit 1872 dürfen an Speakers’ Corner alle mal ihre Meinung sagen. Sie machten Londons Hyde Park zum internationalen Symbol für freie Rede.
Heute liegt die Bedeutung von Speakers’ Corner eher in der Symbolkraft, nicht nur für die Meinungsfreiheit, sondern auch für die Toleranz, nicht zuletzt aufseiten der Polizei. Dass man auch Extremisten, Exzentrikern und Durchgeknallten einen Raum gibt, betrachten viele als Zeichen wahrer Demokratie. Für den Schriftsteller George Orwell, als Sozialist nicht gerade für ausgeprägten Patriotismus bekannt, war Speakers’ Corner ein Grund, stolz zu sein auf sein Land. Im Überwachungsstaat seines düsteren Romans „1984“ gibt es die Ecke nicht mehr. Nur noch die sehnsüchtige Erinnerung daran.